Am 13. Juni stimmen die Schweizer Stimmberechtigten darüber ab, ob die Schweizer Regierung das öffentliche Leben wegen der Pandemie einschränken darf. Eine Bürgervereinigung hat das Referendum gegen das so genannte Covid-19-Gesetz ergriffen, das vom Parlament verabschiedet und im vergangenen September umgesetzt wurde.
Die Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes sorgen sich um die derzeitige Rolle des Bundesrats im föderalistischen und direktdemokratischen System des Landes. Und sie zweifeln an der Impfpolitik der Regierung.
Um was geht es?
Im vergangenen September verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das eine breite Palette von Massnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie in der Schweiz vorsah.
Die Gesetzgebung bestand ursprünglich aus 14 separaten Artikeln. Sie zielte darauf ab, gegen 20 Entscheide, die von der Regierung zwischen Mitte März und etwa Mitte Juni 2020 getroffen wurden, auf eine feste rechtliche Grundlage zu stellen – Entscheide, die damals ohne die reguläre Beteiligung des Parlaments getroffen wurden.
Seither wurde das Gesetz mehrfach abgeändert. Unter anderem mit dem Entscheid der Regierung, von den Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie betroffenen Unternehmen und Einzelpersonen mit über 30 Milliarden Franken finanziell unter die Arme zu greifen.
Das Gesetz ist bis Ende 2021 befristet und bietet der Regierung eine Grundlage, um die “ausserordentliche Lage” bei Bedarf wieder einzuführen. Allerdings erst nach Rücksprache mit dem Parlament, den 26 kantonalen Behörden des Landes, den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften.
Sollte das Gesetz an der Urne abgelehnt werden, würde es einschliesslich seiner Änderungen innerhalb von drei Monaten ungültig werden. Dies liegt daran, dass die aktuellen Massnahmen unter die auf zwölf Monate begrenzte Notstandregelung fallen.
Was sind die wichtigsten Argumente dafür und dagegen?
Die Gegnerinnen und Gegner argumentieren, das Gesetz sei überflüssig. Die meisten Massnahmen könnten angewendet werden, ohne der Regierung besondere Befugnisse zu geben. Sie befürchten auch, dass das Gesetz einen Präzedenzfall für die Zukunft schaffen könnte, der es dem Bundesrat ermöglicht, eine autoritäre Herrschaft durchzusetzen.
Neben der allgemeinen Ablehnung herrscht unter ihnen auch eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Impfpolitik der Regierung. Aktivistinnen und Aktivisten werfen den Behörden vor, mögliche Gesundheitsgefahren der Impfungen zu ignorieren. Ein Teil der Opposition protestiert damit auch gegen die als “willkürlich” angeprangerten Anti-Covid-Massnahmen.
Die bunte Truppe von Gegnerinnen und Gegnern argumentiert, die geringe Anzahl von Todesfällen durch die Pandemie rechtfertige die vorübergehende Schliessung von Geschäften und Restaurants, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit oder die Maskenpflicht nicht.
Für die Befürworterinnen und Befürworter ist das Gesetz hingegen ein notwendiger Schritt und steht im Einklang mit einer Klausel im Epidemiengesetz. Diese besagt, dass Notstandmassnahmen der Regierung innerhalb von sechs Monaten dem Parlament zur Debatte vorgelegt werden müssen.
Sie argumentieren, dass der Prozess einem politischen Verfahren zusätzliche demokratische Legitimität verleihe und der Bevölkerung und den Unternehmen ein Gefühl der Sicherheit biete.
Die politische Struktur der Schweiz ist gekennzeichnet durch die Gewaltenteilung zwischen Exekutive (Regierung), Legislative (Parlament) und Judikative (Justiz). Dazu kommt ihr föderalistisches System, das den kantonalen (und teilweise auch lokalen) Behörden ein hohes Mass an Autonomie gegenüber der nationalen Regierung gewährt.
Warum kommt es zur Abstimmung?
Ein Bürgerkomitee, dem die Freundinnen und Freunde der VerfassungExterner Link und zwei weitere Gruppen angehören, sammelte knapp über 90’000 Unterschriften. Für ein Referendum gegen einen Parlamentsentscheid sind 50’000 gültige Unterschriften nötig, die innerhalb von 100 Tage gesammelt werden müssen. Deshalb kommt das vom Parlament im vergangenen September verabschiedete Gesetz nun im Juni an die Urne.
Das Gesetz ist seit letztem Jahr in Kraft – und wurde seither mehrmals abgeändert. Normalerweise wird die Umsetzung eines Gesetzes verzögert, wenn das Referendum dagegen ergriffen wird. Wird die Vorlage an der Urne abgelehnt, hebt dies den Parlamentsbeschluss auf.
Typisch Schweiz?
Die Schweiz ist weltweit das erste Land, in dem auf nationaler Ebene über die Gesetzgebung zum Coronavirus abgestimmt wird. Ein solches Referendum ist ein integraler Bestandteil ihres politischen Systems, das den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gibt, ein Veto gegen ein Gesetz oder eine Gesetzesänderung einzulegen.
Es gibt keine frühere Abstimmung in der jüngeren Schweizer Geschichte, die direkt mit diesem Urnengang vergleichbar ist. Gewisse Ähnlichkeiten lassen sich im abgelehnten Referendum 2013 gegen das geänderte Epidemiengesetz sehen und in der angenommenen Volksinitiative von 2005 für ein Moratorium für gentechnisch veränderte Organismen in der Landwirtschaft.
Politikwissenschaftler sagen, die Abstimmung über die Covid-Gesetzgebung berge ein hohes Potenzial, regierungsfeindliche Proteststimmen anzuziehen. Dies besonders von Bürgerinnen und Bürgern, die direkt von den behördlichen Einschränkungen betroffen sind. Die Gruppen hinter dem Referendum haben Berichten zufolge etwa 2000 Mitglieder, von denen einige überzeugte Impfgegner sind.
Daneben kommen am 13. Juni weitere vier Vorlagen zur Abstimmung, unter anderem ein Referendum gegen die Reform des CO2-Gesetzes.
Wer ist dafür, wer dagegen?
Das Komitee hinter dem ReferendumExterner Link wurde letztes Jahr gegründet. Es startete eine Kampagne und sammelte – zur Überraschung vieler politischer Expertinnen und Experten – innerhalb kürzester Zeit mehr als genug Unterschriften sowohl für eine Abstimmung über das Covid-19-Gesetz als auch über ein separates Gesetz, das die präventive Inhaftierung von Terrorverdächtigen regelt. Auch dieses kommt am 13. Juni zur Abstimmung.
Während der Parlamentsdebatte im vergangenen September sprach sich eine Mehrheit der Schweizerischen Volkspartei (SVP) im Nationalrat gegen das Gesetz aus. Doch die rechte Fraktion war gegenüber allen anderen politischen Parteien in der Kammer klar in der Minderheit. Der Ständerat stimmte dem Gesetz einstimmig zu.
Keine der grossen politischen Parteien hat empfohlen, das Gesetz am 13. Juni abzulehnen. Die SVP hat Stimmfreigabe beschlossen.
Eine aktuelle Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag der SRG SSR ergab, dass eine grosse Mehrheit der Befragten den Umgang der Regierung mit der Covid-Krise unterstützt. Aber etwa 30% sagten, sie hätten “wenig” oder “sehr wenig” Vertrauen.