Der Impfstoff kommt – aus Deutschland! Und auch noch von Medizinern mit Migrationshintergrund! Sehr schön. Aber was bedeutet die öffentliche Fixierung auf die Herkunft der Biontech-Forscher?
Eigentlich geht es bei einer der wichtigsten Meldungen dieser Woche ja in erster Linie um die Entdeckung eines vielversprechenden Corona-Impfstoffes. Da es nachrichtlich nicht ganz irrelevant ist, welche ForscherInnen für diesen Fund verantwortlich sind, lernten wir das Humanmediziner-Paar Ugur Sahin und Özlem Türeci kennen, die das Unternehmen Biontech gegründet haben. Beide haben türkische Wurzeln, beide sind Deutsche, weshalb man in Boulevardeinordnungen und sozialen Medien einfach einen Erfolg durch einen anderen austauschte: Der Fund eines Impfstoffs wurde nun auch als Geschichte einer erfolgreichen Integration erzählt. Uff. Das ist aus vier Gründen schwierig.

Der Hauptsitz des Biotechnologie-Unternehmens Biontech.
Komplexitätsreduktion und Enthumanisierung
Einen erfolgreichen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte vor allem über seine Herkunft erzählen zu wollen, reduziert ein dreidimensionales Individuum mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft erst mal auf seinen Migrationshintergrund. In der Berichterstattung konnte man wahrnehmen, wie schnell sich einige Akteure und Medien diese vereinfachte Erzählung der einwandfrei eingewanderten Entdecker aneigneten, um sie in einer Art Selbstprojektions-Stolz mit ihren Prioritäten zu füllen. Je nachdem, wo man sich selbst identitätspolitisch befindet, wird der Erfolg von Sahin und Türeci in einer euphorischen Identifikation plötzlich zum eigenen: Türken waren stolz, weil das Wissenschaftlerpaar türkische Wurzeln hat; Deutsche waren stolz, weil es Deutsche sind, die in einer deutschen Firma einen deutschen Wirkstoff herstellen; Frauen waren stolz, dass mit mindestens einer beteiligten Frau die Entdeckung zur Hälfte auch von mindestens einer Frau gemacht wurde; Linke waren stolz, dass sie den Rechten etwas entgegensetzen konnten. Aber in all diesen Appropriationen wurden die beiden auf Teilaspekte ihrer Persönlichkeiten abstrahiert und zu Trophäen für die eigene Selbstvergewisserung gemacht.
Samira El Ouassil